My 'Bericht aus Brüssel' in the 1st issue of 2023 in the RDV (Fachzeitschrift für Datenschutzrecht) illustrates and assesses the more and more incoherent system of EU digital laws.
Below my contribution for RDV 1/23:
Beginnend mit RDV Heft 1/2023 wird Kai Zenner, Büroleiter und Digitalreferent für MdEP Axel Voss und Experte des AI Netzwerks der OECD, ein Update aus dem Maschinenraum der Brüsseler Digitalregulierung geben. Der Bericht beschäftigt sich insb. mit den Belangen des betrieblichen Datenschutzes, hat aber auch das große Granze im Auge.
Die Europäische Union hat sich seit Ende des Kalten Krieges lange auf ihren Erfolgen ausgeruht und dabei ganz vergessen, dass sich die Welt auch ohne sie weiterdreht. In kaum einem Bereich wird dies deutlicher als beim digitalen Wandel. Trotz nationaler sowie europäischer Initiativen ist die Lage besorgniserregend: der Netzausbau stockt, Digitalkompetenzen bleiben Mangelware und Spitzenforscher verschwinden immer mehr ins EU-Ausland. Von den Top 100 digitalen Plattformen kamen 2021 noch 12 aus der EU (41 bzw. 45 haben ihren Hauptsitz in den USA bzw. China), wobei diese sogar nur für 3% der Marktkapitalisierung standen (Afrika folgt dicht mit 2%). Die Antwort aus Brüssel? Ein Feuerwerk an immer neuen regulativen Vorschlägen.
Diese Aussage sollte allerdings nicht als anti-europäisch missverstanden werden. Regulierung kann – auch im Digitalsektor – durchaus wettbewerbsfördernd wirken. Beispiel Künstliche Intelligenz: die EU hat die Chance durch eine ausgewogene KI-Verordnung einen globalen 'fi rst mover advantage' zu erzielen. Europäische Unternehmen würden dann ähnlich wie beim Brüssel Effekt der DS-GVO davon profi tieren, dass sich die EU-KI-Regeln zu globalen Standards weiterentwickeln. Dies ist allerdings kein Selbstläufer. Internationale Organisationen wie der Europarat oder die OECD, aber auch Staaten wie China und Kanada arbeiten sehr aktiv an eigenen regulatorischen Frameworks. Die politische Debatte in Brüssel deutet zudem an, dass sich die EU für einen so eigenwilligen Ansatz entscheiden könnte, dass kein noch so wohlgesonnener internationaler Partner diesem Weg folgen könnte, ohne dabei die eigenen Rechtstraditionen in Frage zu stellen. Die größte Gefahr für die europäische Wettbewerbsfähigkeit im Bereich KI ist allerdings das Anfangs angesprochene Regulierungsfeuerwerk. Die KI-Verordnung ist dabei nur eines von vielen gesetzlichen Puzzleteilen im Digitalen Binnenmarkt. Die abgedruckte Tabelle 1 (table 1) veranschaulicht alle existierenden Gesetze sowie neuen legislativen Initiativen. Zwar fallen schon auf dem ersten Blick gewisse Überschneidungen auf, eine genauere Analyse offenbart die erzeugte Rechtsunsicherheit gänzlich. Drei konkrete Beispiele: (1) Mehrfachnutzung von zentralen Rechtsbegriffen. Der 'user' in der KI-Verordnung ist ein die Technologie anwendendes Unternehmen, während der Begriff in der DS-GVO im Sinne eines 'end-users' (Datensubjekts) zu verstehen ist. (2) Doppelregulierung. Gerade im Europäischen Parlament ist zu beobachten, dass schon regulierte Bereiche wie 'content moderation' (Digital Services Act) oder 'advertisement' (Political Advertising Regulation) auch in den Anwendungsbereich der KI-Verordnung aufgenommen werden sollen. (3) Überlappende Verfahren. Die KI-Verordnung verlangt eine spezielle Risikobewertung bzw. ein Qualitätsmanagementsystem, obwohl schon die Datenschutz-Folgenabschätzung aus der DS-GVO bzw. sektorale Qualitätsmanagementsysteme Entwickler mit sehr ähnlichen, teils sogar den selben Anforderungen konfrontieren.
Vage Formulierungen und Auslegungsprobleme machen die Durchsetzung der Gesetze noch wichtiger. Doch auch auf dieser Ebene führt die große Anzahl an EU-Regelungsakten zu Problemen, wie Tabelle 2 (table 2) verdeutlicht. Die Übersicht klammert dabei die nationale Umsetzung aus und listet ausschließlich solche Fälle auf, in welchen die EU direkte Durchsetzungsgewalt hat oder aber über EU-Agenturen und -Einrichtungen an der Ausführung der Gesetze beteiligt ist. Die KI-Verordnung veranschaulicht auch hier drei wiederkehrende Probleme: (1) eindimensionale Perspektive. Trotz der horizontalen Auswirkungen von KI werden andere EU-Agenturen und -Einrichtungen kaum in die Arbeit des zuständigen AI Boards einbezogen werden (Europäischer Datenschutzbeauftragter als die wesentliche Ausnahme). (2) Überlappende Kompetenzen. Gleichzeitig arbeiten andere EU-Agenturen und -Einrichtungen, wie die Europäische Zentralbank, Europol oder das European Board of Digital Services, ebenfalls im Rahmen ihrer Arbeit an Themen mit KI-Bezug. Kompetenzkonflikte werden unweigerlich auftreten. (3) Unterschiedliche Auslegungen und Interpretationen. Viele der europäischen aber auch nationalen Durchsetzungsorgane werden schließlich unterschiedliche Sichtweisen haben, wie die KI-Verordnung zu verstehen ist. Die tatsächliche Umsetzung wird also je nach Akteur und Mitgliedstaat variieren.
Hat die EU mit dem digitalen Regulierungsfeuerwerk also auf das falsche Pferd gesetzt und somit beim Thema KI als auch grundsätzlich beim digitalen Wandel verloren? Trotz der vorherigen – sehr kritischen – Bemerkungen muss man diese Frage klar mit 'Nein' beantworten. So haben viele der neuen EU-Gesetze, wie der Digital Market Act oder die NIS-2-Richtlinie, exzellente Mechanismen in den Digitalen Binnenmarkt eingeführt und signifi kante Regelungslücken geschlossen. Wo liegt also das Problem und was sollte dagegen getan werden? Die Tabellen skizzieren klar den Arbeitsauftrag für die EU-Institutionen nach der Europawahl 2024: anstatt immer neue digitale Gesetze zu präsentieren, sollte sich der Gesetzgeber in der nächsten Legislaturperiode ganz der Agenda zur besseren Rechtsetzung verschreiben. Er sollte die bestehenden Gesetze akribisch und systematisch überprüfen und vereinheitlichen. Überschneidungen und inkohärente Regelungen sind radikal abzubauen. Sollte es der EU in den nächsten Jahren gelingen, den regulativen Flickenteppich neu zu ordnen und nehmen die nationalen Regierungen gleichzeitig endlich die notwendigen Investments vor, wird die EU in ein paar Jahren digital wieder ganz vorne mitspielen.
More information about the RDV magazine can be found here. The text above is published on this website in agreement with DATAKONTEXT GmbH and Prof. Dr. Schwartmann.
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